Heute morgen, den 27.02.17, um 05:30 Uhr versammelten sich ca. 25 Personen vor der Einfahrt des Polizeipräsidiums in der Vahr in Bremen um gegen die Abschiebung eines jungen Marokkaners aus der Abschiebehaft zu demonstrieren. Der Abschiebehafttrakt Bremens ist in den Gebäuden des Polizeipräsidiums untergebracht. Die von der Abschiebung betroffene Person hatte sich im Vorfeld gegen einen Versuch der Behinderung oder Blockade entschieden, Protest gegen die Abschiebung begrüßte er. Die Polizei war sich dessen scheinbar nicht ganz sicher und war entsprechend mit mehreren Mannschaftswagen und Beamten und Beamtinnen in der Nähe der Einfahrt präsent. Da außer einer Kundgebung keine weiteren Aktionen von Seiten der Demonstrierenden ausgingen blieb die Situation vor Ort jedoch ruhig.
Unseren Informationen nach wurde dem Betroffenen im Vorfeld mitgeteilt, dass er sich gegen sechs Uhr dafür bereithalten sollte aus der Abschiebehaft abgeholt zu werden. Nach unseren Infos vom heutigen Morgen wurde er jedoch bereits um vier Uhr aus dem Abschiebehafttrakt abgeholt. Ob er zum Zeitpunkt der Kundgebung überhaupt noch auf dem Gelände des Polizeipräsidiums war ist uns nicht bekannt. Wir hatten gehofft, dass er unseren Protest mitbekommen würde. Die Kundgebung wurde nach einer Stunde aufgelöst.
Die folgende Mitteilung wurde an Pressevertreter vor Ort ausgeteilt. Die grundlegenden Kritikpunkte wurden zudem auf der Kundgebung benannt.
Wir bleiben bei unserer Meinung, dass es keine Gründe gibt, die eine Abschiebung legitimieren könnten!
Mitteilung im Zusammenhang mit der Abschiebung aus der Abschiebehaft am 27. Februar 2017
Derzeit scheint es einen breiten Konsens darüber zu geben, dass es völlig richtig sei, kriminell in Erscheinung tretende Geflüchtete abzuschieben. Wir sind jedoch ganz anderer Meinung:
Die Verknüpfung von Kriminalität und Abschiebung, egal ob rechtlich vollzogen oder medienwirksam inszeniert, basiert darauf, dass als natürlich erscheint, was nichts Natürliches hat: das Recht, entscheiden zu können, wer sich in einem Gebiet aufhalten darf und wer nicht. Wir lehnen dieses Recht, das Menschen verwehrt, selbst zu entscheiden, was richtig und gut für sie ist und ihnen auch verwehrt, sich dort aufzuhalten, wo sie sich aufhalten wollen, ab. Unserer Meinung nach gibt es keine Gründe, die eine Abschiebung legitimieren können. Dies gilt sowohl für die heute, am 27. Februar 2017, stattfindende Abschiebung des jungen Marokkaners aus der Abschiebehaft im Polizeipräsidium in der Vahr in Bremen, als auch für alle weiteren Abschiebungen!
Der junge Mann hat Marokko im Alter von 13 Jahren verlassen und lebte seitdem in europäischen Ländern. In Deutschland lebte er zuletzt auf der Straße oder bei Freunden. Er bekam keinerlei Unterstützung, hatte keine Perspektive, einen Aufenthaltstitel zu bekommen und so weder das Recht zu arbeiten noch die Möglichkeit zur Schule zu gehen.
Seit Mitte Januar sitzt er in Abschiebehaft, eine Aufforderung freiwillig auszureisen hatte ihn bis dahin nie erreicht. Dass die Haftanordnung deswegen rechtswidrig war, wurde vom Landgericht Bremen erst nachträglich festgestellt. Die Abschiebehaft wurde dennoch nicht aufgehoben.
Nun erwartet ihn die Ungewissheit: Abgesehen von seiner Familie hat er keinerlei Kontakte mehr in seiner ehemaligen Heimatstadt, und ob er zu seiner Familie zurückkehren kann, ist zweifelhaft. Zudem bestehe die Möglichkeit, willkürlich inhaftiert zu werden und es sei wahrscheinlich, die 50 Euro “Starthilfe” direkt bei der Ankunft von korrupten Beamten abgenommen zu bekommen. Im schlimmsten Fall wäre er dann mittellos in einem ihm inzwischen unbekannten Land und einer ihm unbekannten Stadt. Der Flug mit dem er abgeschoben wird, landet in Casablanca und nicht in Tanger. Die Ausländerbehörde interessiert nicht, dass zwischen beiden Städten 350 Kilometer liegen. Freiwillige versuchen nun zumindest Anlaufstellen für ihn in Marokko zu finden. Die Unsicherheit, wie er seinen Lebensunterhalt bestreiten soll, jedoch bleibt.
Mit dieser Perspektive ist er eine von 41 Personen, die von der Innenbehörde als „nordafrikanische Intensivtäter“ betitelt werden und deren Abschiebung mit besonderer Priorität vorangetrieben wird. Nordafrikaner werden zunehmend stigmatisiert. Seit den Übergriffen in Köln sollen Marokko, Algerien und Tunesien plötzlich auf die Liste der sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“ gesetzt werden. Unter massivem Druck und der Androhung von Sanktionen drängt die Bundesregierung die Maghrebstaaten zur Unterzeichnung von Rückübernahmeabkommen, welche Abschiebungen erleichtern sollen. Eine erste Konsequenz dieses Drucks ist die heutige Abschiebung. Dass mit der Streichung von Entwicklungshilfe- und Fördergeldern gedroht wird, die jungen Menschen Perspektiven vor Ort schaffen sollen, ist zynisch und absurd und wird von uns in aller Härte kritisiert. Zwar wird oft darüber gesprochen, Fluchtursachen zu bekämpfen, doch eine Perspektive haben vor allem viele junge Menschen in den Maghrebstaaten nicht. Die Konsequenz solcher Abkommen und Drohungen wird in erster Linie eine weitere Destabilisierung dieser Länder sein.
Menschen, die an ihrem Aufenthaltsort nicht bleiben können oder wollen, werden sich auch in Zukunft nicht aufhalten lassen, sich auf den Weg in eine erhoffte bessere Zukunft zu machen. Wir solidarisieren uns mit diesen Menschen und unterstützen sie in ihrem Wunsch, ein selbstbestimmtes Leben dort zu führen, wo sie es wünschen. Wir sind der Meinung, dass sich niemand legitimerweise das Recht anmaßen kann, zu bestimmen, wo sich andere Menschen aufzuhalten haben oder ihre Gründe daraufhin zu beurteilen, ob sie berechtigen, sich an einem Ort aufzuhalten, oder nicht. Nur jeder Mensch selbst kann entscheiden, an welchem Ort er oder sie sich aufhalten möchte.
Daraus, dass wir auf eine globale Bewegungsfreiheit insistieren, ergibt sich, dass wir die „freiwillige Ausreise“ ablehnen: diese ist nichts anderes, als die angedrohte Abschiebung selbsttätig auszuführen. Ebenso lehnen wir folglich die Konstruktion der sicheren Herkunftsstaaten oder die der kriminellen und somit abzuschiebenden Geflüchteten ab.
Neben der Möglichkeit zu bleiben sollten alle Menschen zudem gleiche gesellschaftliche Teilnahmemöglichkeiten erhalten, um ihre Bedürfnisse miteinander auf Augenhöhe verhandeln zu können. Dabei sollte auch miteinbezogen werden, dass alle Menschen in die Lage versetzt werden, auf die Einflüsse, die ihre Lebenswirklichkeit bestimmen, einwirken zu können.
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